Die Drabenderhöher Kreisvorsitzende Enni Janesch eröffnete Pfingstsamstag im Kunstgewölbe des Spitalhofs in Dinkelsbühl die Ausstellung „Auf Heimatsuche – 60 Jahre Kohleaktion“. Bevor Janesch nach Drabenderhöhe kam, wohnte sie in Oberhausen. Vor zahlreichen Zuschauern erinnerte sie an den September 1944, wo Teile von Nord- und Südsiebenbürgen evakuiert wurden und rund 35 000 Siebenbürger Sachsen aus 40 Gemeinden vor der anrückenden Roten Armee flüchteten. Zurück blieben Haus und Hof, Handwerks- und Industriebetriebe sowie Gemeinschaftseinrichtungen.
Nach entbehrungsreichen Wochen erreichten die Trecks Anfang November die Grenze zu Österreich. Die Flüchtlinge werden meistens nach dörflichen Gemeinschaften in Österreich und ins Sudetenland verteilt. Nach dem Krieg kommen die Männer dazu, die in Österreich in amerikanische Gefangenschaft geraten sind. Die 1945 aus Siebenbürgen nach Russland deportierten Frauen und Männer, die Krankheitsbedingt nach Ostdeutschland entlassen werden, kommen als dritte Gruppe dazu. Staaten- und rechtlos, so Janesch in ihrer Einführung, leben alle in Barackenlagern. Arbeitsplätze gibt es nur als Tagelöhner bei Land- und forstwirtschaftlichen Betrieben.
Westliche Staaten wie Luxemburg und Frankreich lehnen ebenso die Aufnahme ab, wie nord- und südamerikanische Regierungen. Im Oktober 1951 beschließt der „Hundertausschuss“ der Landsmannschaft in Völklabruck einstimmig mit Westdeutschen Regierungssstellen in Verbindung zu treten, mit dem Ziel einer Umsiedlung in die Bundesrepublik. Der aus Sächsisch-Reen stammende Rechtsanwalt Dr. Eduard Keintzel und der ehemalige Generaldechant Dr. Carl Molitoris werden beauftragt die Gespräche zu führen. Nach zähen Verhandlungen mit der Bundesregierung und dem Land NRW gelingt es Keintzel mit Bergwerksgesellschaften im Ruhrgebiet in Verbindung zu treten. Im Kohlebergbau werden Arbeitskräfte gesucht, weil „Deutsche Wirtschaft heißt Deutsche Kohle“.
Die Errichtung dreier Siedlungen wird in Aussicht gestellt. Rund 11000 Personen melden sich und werden in einer Umsiedlungsliste geführt. Jeder einzelne Bewerber muss einer Überprüfung durch das Bundesministerium für die Einreisegenehmigung stand halten. Am 17. März 1953 trifft der erste Sammeltransport im Ruhrgebiet ein. Aus siebenbürgischen Bauern (70 % der Bewerber), Handwerkern, Kaufleuten, Lehrern und Pfarrer werden Kumpel. Sie arbeiten im Pütt, werden Knappen oder Hauer, Jüngere sogar Steiger.
Das Geleucht (die Lampe) auf der Stirn wird zum Erkennungszeichen. Begriffe wie Schacht, Förderkorb, Gezähe (Werkzeug), Bewetterung, Flöz, Streb, Waschkaue und Abraum gehören zum täglichen Vokabular. Die Arbeit unter Tage ist ungewohnt und hart, aber die Siebenbürger zeichnen sich durch Fleiß, Zuverlässigkeit und Ausdauer aus. Als die Familien in die von den Bergwerksgesellschaften erstellten Siedlungen in Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und in Setterich bei Aachen einziehen, wohnen sie in den damals modernsten Bergarbeitersiedlungen.
In ihrem unsichtbaren Gepäck haben die Neusiedler ihre Kultur und ihr Brauchtum aus Siebenbürgen mitgebracht. Straßen erhalten Namen siebenbürgischer Städte und Persönlichkeiten, Gemeinschaftseinrichtungen werden gebaut. Es werden Kreisgruppen der Landsmannschaft und Kulturgruppen gegründet, wie Blaskapellen, Chöre, Frauenvereine, Jugend- und Volkstanzgruppen. In den drei Siedlungen entsteht aktives Gemeinschaftsleben.
Es folgen 1955 die Übergabe der Staatsbürgerschaft und kurz danach die Erlangung der Vertriebeneneigenschaft und des Lastenausgleichs. Der Bundesvorstand der Landsmannschaft stand 1951/52 der Umsiedlung aus Österreich noch kritisch gegenüber, hatte von der „Kohleaktion“ entschieden abgeraten. 1953 bahnten sich Verbindungen zum damals noch kleinen Landesverband NRW an, von dem in den folgenden Jahren wichtige Impulse ausgehen und der eine der stärksten Stützen der Landsmannschaft in Deutschland wird.
Die Übernahme der Patenschaft durch das Land NRW im Mai 1957 ist ein wichtiges Ereignis für die Siebenbürger Sachsen. Sie gewinnen politischen und auch geistigen Rückhalt, können sich Jahrzehnte über großzügige Förderungen freuen. Die positiven Erfahrungen in den Bergwerkssiedlungen bewirken, dass weitere Siedlungsvorhaben angedacht werden. Der Landesvorstand, allen voran Robert Gassner, sucht nach geeigneten Orten im ländlichen Raum. Nach längerer Suche findet man in Drabenderhöhe einen geeigneten Platz. Erste Kontakte finden 1961 statt, im Dezember 1964 zieht die erste Familie ein und am 17. Juni 1966 sagt Robert Gassner, der „Vater der Siedlung“ bei der Einweihungsfeier „Wir sind daheim“. Es entstand eine Siedlung für 1500 Siebenbürger Sachsen mit Gemeinschaftsbauten wie Kulturhaus, Alten- und Pflegeheim, Kindergarten.
Heute leben (nach fünfmaliger Erweiterung) knapp 3000 Siebenbürger Sachsen aus 200 Ortschaften Siebenbürgens in der größten Siedlung. Heute – 60 Jahre nach der „Kohleaktion“, so Janesch, könne man sagen: Die Integration der Siebenbürger Sachsen in NRW ist gelungen. Es gilt Dank zu sagen den Großeltern und Eltern, die den beschwerlichen Anfang nicht gescheut haben. Ein besonderer Dank gelte aber auch dem Patenland, ohne dessen Unterstützung diese Entwicklung nicht möglich gewesen wäre. Aus dem Dank erwachse die Verpflichtung, das mitgebrachte kulturelle Erbe weiter zu bewahren und zu pflegen. „Härr hälf, dass es noch lange gelingt!“ und mit dem Bergmannsgruß „Glück auf“ schloß Enni Janesch die Einführung in die Ausstellung.
Enni Janesch/Ursula Schenker