„Singen bedeutet mir sehr viel“, sagt der ältere Herr. Leise singt er die Texte mit, die er aus der Jugendzeit kennt: „Im Frühtau zu Berge“, „Nun will der Lenz uns grüßen“, „Komm lieber Mai und mache“ oder „Hörst du nicht im Wiesental kleine Glöcklein läuten“. Der 88-Jährige ist blind. Er genießt, wie alle anderen, die Sonne, die durch das Dach des Alten- und Pflegeheims Haus Siebenbürgen-Drabenderhöhe ihre wärmenden Strahlen in den Pavillon schickt.
„Der Frühling hat sich eingestellt“, sagt Heidrun Niedtfeld, die seit zwei Jahren – immer wieder montags – die Senioren des Altenheims zum Gesang bittet. Begleitet wird die ehemalige Oberstudienrätin, die den Ton auf dem Klavier angibt, dabei von der Sozialpädagogin Elke Schmidt auf der Gitarre. „Hier geht es nicht um Gut oder Falsch, sondern alle sollen Spaß an der Sache haben“, betont Niedtfeld. Spaß haben offensichtlich die rund 60 Frauen und Männer, unter ihnen einige Dorfbewohner, die zum ersten Mal an einem „Offenen Singen“ teilnehmen, das zukünftig an jedem zweiten Montag im Monat ab 10 Uhr im Altenheim sattfinden soll.
Die Augen der alten Menschen gehen lebhaft hin und her, Freude und Fröhlichkeit leuchten aus ihnen. Sie genießen die musikalische Reise in die Vergangenheit. Viele Melodien werden auswendig mitgesungen, neue Texte werden eingeübt. „Wie schön“, flüstert der blinde alte Herr, der seinen Namen nicht nennen möchte.
Als die ersten Gäste von außerhalb dazu kommen, haben die Senioren des Altenheims schon fleißig gesungen. „Sie waren nicht zu bremsen, wir mussten anfangen“, erklärt Niedtfeld. Stühle müssen dazu gestellt werden, damit alle einen Platz haben. Jeder hat ein Heft mit Noten und Text in der Hand. Wünsche dürfen vortragen werden. „Das stimmt, das ist in C-Dur“ gibt Heidrun Niedtfeld einem Senioren recht, „aber wir singen in A-Dur, das ist tiefer und wir müssen nicht so hoch rauf“. Im Umgang mit den älteren Menschen merkt man, dass Niedtfeld rund 40 Jahre als Pädagogin für Musik und Geschichte am Gummersbacher Grotenbach-Gymnasium gearbeitet hat. Mit Einfühlungsvermögen und einem „guten Händchen“ geht sie auf die Senioren ein, die bei Wanderliedern auch mit den Füßen in Bewegung geraten. „Singen ist eine Art Gesundheitstraining, trainiert die Atmung und befreit die Lunge“, sagt Niedtfeld, die es gerne sehen würde, wenn noch mehr Dorfbewohner montags ins Altenheim zum Singen kämen.
Zum Schluß spielt Heidrun Niedtfeld auf dem Klavier noch Mozarts „Träumerei“ und erfüllt damit einen Herzenswunsch von Wilhelm Deckert. Der Senior, der als Notenwart arbeitet, freut sich immer riesig auf die Singstunde. „Er packt die Noten auf seinen Rollator, bringt sie in den Pavillon und anschließend räumt er sie wieder in den Schrank.“ Elke Schmidt ist froh darüber, denn „die sind ganz schön schwer“.
Mit „Komm lieber Mai und mache“ endet der erste gemeinsame Liedervormittag viel zu schnell. Macht nichts: Wiederholung ist ja angesagt.