Mit einer eindrucksvollen Gedenkfeier erinnerten die Kreisgruppen Drabenderhöhe und Wiehl-Bielstein, die Stadt Wiehl und der Freundeskreis Wiehl-Bistritz im Kulturhaus gemeinsam an die Evakuierung der rund 36 000 Siebenbürger Sachsen im September 1944.
Mit dem Lied „Sangtichklok“ (Sonntagsglocke) eröffnete der Honterus-Chor unter Leitung von Regine Melzer den Abend der Erinnerungen, der auch vom Blasorchester unter Leitung von Jürgen Poschner mitgestaltet wurde. Die Kreisvorsitzenden Anita Gutt und Horst Kessmann begrüßten neben vielen Ehrengästen auch Zeitzeugen, die die Flucht vor 75 Jahren als Kinder erlebten. Dazu gehörten unter anderen Susanne Kräutner, Maria Kirscher, Stefan Poschner, Maria Hartig, Maria Lörinz, Christine Lezanska. Man könne sich heute kaum noch vorstellen, wie die Menschen das überstanden haben, sagte Kessmann. Er appellierte an die jungen Menschen „das Gedenken aufrecht zu erhalten“.
Ein besonderer Gruß und Glückwünsche gingen an Rainer Lehni, der einige Tage zuvor beim Verbandstag zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehörte der Besuch in Drabenderhöhe. Die Ereignisse vor 75 Jahren seien Beginn einer geschichtlichen Zäsur gewesen mit Flucht, Deportation und dem Ende einer Jahrhunderte alten Geschichte, die mit der Ausreisewelle nach der Wende 1989 noch viele schmerzvolle Erfahrungen beinhalten sollte, sagte Lehni. Er betonte, dass in NRW (Herten, Oberhausen, Setterich, Drabenderhöhe) der höchste Anteil an Siebenbürger Sachsen lebe und „diese weiter mit unserer alten Heimat verbunden sind“. Aber, man müsse heute „unsere Traditionen nach Siebenbürgen zurücktragen, weil da kaum noch Landsleute leben“.
„Es war als würde uns das Herz zerbrechen und uns überfiel zum ersten Mal das Gefühl heimatlos zu sein“, zitierte Wiehls Bürgermeister Ulrich Stücker aus dem Buch „Vergessene Fährten“ von Oliver Klöck und Norbert Wallet den damaligen Bürgermeister von Burghalle, Georg Poschner, als er einen letzten Blick von der Budakerhöhe auf sein Dorf zurückwarf. Man könne nur erahnen, mit welchen Emotionen die Menschen die Flucht ins Ungewisse begannen. Dabei seien sie nie weinerlich gewesen, sondern hätten mit Mut, Zuversicht und Hoffnung in die Zukunft geblickt. Heute seien die Siebenbürger mit ihren Traditionen Bereicherung und fester Bestandteil von Wiehl geworden.
Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr habe die Menschen am Leben gehalten, sagte Horst Göbbel aus Nürnberg, der 1944 in einem Viehwaggon in Ungarn mit seiner Zwillingsschwester Maria das Licht der Welt erblickte. Maria starb im Alter von acht Monaten. „Manchmal denke ich, ich lebe für sie mit.“ Als Gastreferent widmete er sich dem Thema „Gedenken mit Zuversicht“, beschäftigte sich nur teilweise mit der Flucht 1944. Den Historiker beschäftigte vielmehr die Frage, „Was man tue und wie man damit umgehe“. Die Ereignisse vor 75 Jahren seien ein einschneidendes historisches Ereignis gewesen und Erinnerungen seien notwendig, aber man müsse auch nach vorne sehen. Er erinnerte an Robert Gassner, der sich während der NS-Zeit im Krieg „nicht nur mit Ruhm bekleckert habe“ aber sich bei der Evakuierung für seine Landsleute stark gemacht und sich vor über 60 Jahren für den Bau der Drabenderhöher Siedlung federführend eingesetzt habe. Dass es die Siebenbürger noch gebe, habe seiner Meinung nach auch damit zu tun, dass sie mit Arbeit, Standhaftigkeit und im Glauben weiter gemacht, auch wenn sie tief am Boden gelegen hätten.
Menschen, die auch heute aus ihrer Heimat flüchten müssten, verdienten Respekt und Solidarität, betonten verschiedene Redner bei der Gedenkfeier, denn es sei für alle ein Aufbruch ins Ungewisse. Dr. Hans Georg Franchy, Vorsitzender des Freundeskreises Wiehl-Bistritz, erinnerte eindringlich daran, dass auch die Siebenbürger damals in Österreich und Deutschland nicht bei jedem willkommen gewesen seien, obwohl „wir deutsch sprachen“. Sein Dank ging an Ovidiu Cretu, rumänischer Bürgermeister von Bistritz, der sich mit großem Engagement für die Kultur und Tradition der Siebenbürger einsetze.
„Jedes Jahr im September wandern meine Gedanken nach Botsch“, mit diesen Worten begann die 92-jährige Susanna Kräutner ihr Gedicht, in dem sie die Flucht beschreibt, die sie als 17-Jährige mit dem Ochsenkarren erlebte. Sie erhielt ebenso viel Beifall wie Honterus-Chor und Blasorchester, die Zeugnis von der lebendigen siebenbürgischen Kultur gaben.
Text: Ursula Schenker
Fotos und Videos: Christian Melzer
Videoschnitt und -bearbeitung: Günther Melzer
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Fotos: Christian Melzer