Nach einem erfüllten Leben, geprägt von unermüdlichem Engagement, ist Dr. Roswita Guist am 23. Januar 2024 im Alter von 86 Jahren in Drabenderhöhe verstorben.
Bei der Trauerfeier am 4. Februar in der evangelischen Kirche sagte Pfarrer Gernot Ratajek-Greier: „Frau Dr. Roswita Guist hinterließ tiefe Spuren. Überall, wo sie ankam, machte sie mit. Ihre Kraft und Stärkung für ihren außergewöhnlichen Einsatz schöpfte sie aus ihrem tiefen Glauben.“ Nach der Trauerfeier wurde die Urne mit ihrer Asche auf dem Friedhof in Drabenderhöhe beigesetzt. Eine große Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn begleiteten sie auf ihrem letzten Weg.
Dr. Roswita Guist, geborene Brandsch-Böhm, erblickte am 8. Oktober 1937 in Heltau das Licht der Welt. 1941 übersiedelten ihre Eltern mit vier Kinder nach Berlin. Ihre Kindheit in einer chaotischen Zeit war geprägt von Bombenangriffen, Evakuierung nach Ostpreußen und Flucht nach Schlesien, Thüringen und Bayern. Da ihre Wohnung in Berlin von Bombenangriffen nicht zerstört worden war, konnte die Familie 1947 dorthin zurückkehren. Die Wohnungstür der Familie Brandsch-Böhm stand für alle hilfesuchenden Landsleute offen. Siebenbürger Sachsen, die aus der Deportation in die Sowjetunion in Berlin gestrandet waren, kamen hier zusammen. Man traf sich, tröstete sich und half sich untereinander. Mit 17 Jahren gründete Roswita eine siebenbürgische Jugendgruppe. Die Gruppe nähte und stickte sich unter Anleitung ihre siebenbürgischen Trachten. Bald bildete sich auch eine Erwachsenen Volkstanzgruppe, die bei Trachtenbällen und Kulturveranstaltungen unter dem Dach der DJO und der Kirche die siebenbürgischen Trachten vorführte. Die Volkstanzgruppe war der Motor zur Gründung der Landsmannschaft in Berlin. Für das Hilfskomitee organisierte das junge Mädchen Sommerferienlager, knüpfte Kontakte zu den Jugendgruppen in den Bergbausiedlungen in Nordrhein-Westfalen und gestaltete Jugendprogramme bei den Heimattagen in Dinkelsbühl. Um mehrere Jugendliche zu erreichen, entstand der „Siebenbürgisch-Sächsische Jugendbrief“, der monatlich in der Siebenbürgischen Zeitung veröffentlicht wurde.
Nach dem Abitur absolvierte Roswita an der Pädagogischen Hochschule in Berlin eine Lehrerinnenausbildung zur Grund-, Haupt- und Realschule und erwarb später noch die Qualifikation in Mathematik und evangelischer Religion für die Oberstufe. Bei der Jahrestagung des Arbeitskreises junger Siebenbürger Sachsen lernte sie 1954 ihren späteren Ehemann, den aus Seiburg stammenden Martin Guist, kennen. Von Wien zog er nach Berlin und 1956 heirateten die beiden. Bei der Hochzeit trug das Paar die siebenbürgische Tracht, ebenfalls auch die Erwachsenentanzgruppe, die es auf seinem Hochzeitszug bis zur Kirche in Berlin-Schöneberg begleitete. Bei der Hochzeitsfeier wurde der Braut die Goldene Ehrennadel der Landsmannschaft der Siebenburger Sachsen überreicht.
Aus beruflichen Gründen zogen die Eheleute 1960 nach Langendiebach in Hessen, wo auch ihre Kinder, Thomas, Reiner und Annemarie zur Welt kamen. Dazu kam das Pflegekind Christine, das als Familienmitglied aufgenommen wurde und als erstes Pflegekind in Deutschland offiziell den Namen der Familie erhielt.
In Altenhain konnte sich die Familie ein Eigenheim errichten, das sie im Herbst 1971 bezogen. Neben ihrem Dienst als Schulleiterin der Grundschule in Bad Soden und großer Familie legte die junge Mutter 1974 ihre Doktorprüfung im Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Frankfurt ab und wurde ordiniert zum „Wort und Sakrament.“ Von da an hielt sie ehrenamtlich Gottesdienste im Dekanat ab und schrieb Lesepredigten für Pfarrer in Zeitnot, Lehrer und Praktikanten.
Weiterhin engagierte sich Roswita in der Landsmannschaft und in der kirchlichen Jugendarbeit. Sie gründetet die Jugendtanzgruppe in Neu-Isenburg, eine Frauengruppe im Landesverband und war neun Jahre Kulturreferentin der Landesgruppe Hessen. Jahrelang gestaltete sie das Programm von Großveranstaltungen in verschiedenen Kreisgruppen. Ebenso stand die Fahrt der Kulturgruppen aus Hessen in die USA und Kanada unter ihrer fachlichen Verantwortung. Seit 1985 bot sie in Dinkelsbühl auch Jugendgottesdienste unter Einbeziehung immer neuer Gruppen im Freilichttheater an, die gerne angenommen wurden.
Darüber hinaus war sie in der Kommunalpolitik für die FDP als ehrenamtliche, stellvertretende Bürgermeisterin für Altenhain, einen Stadtteil von Bad Soden, tätig. 1994 wurde Dr. Roswita Guist mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet für 40 Jahre außergewöhnliche, ehrenamtliche Tätigkeiten in kirchlichen, sozialen, wissenschaftlichen, landsmannschaftlichen, politischen und mitmenschlichen Bereichen. 1995 erhielt sie die Theodor-Heuss-Medaille für besonders erfolgreiche, ehrenamtlich politische Tätigkeit zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bad Soden und des Main-Taunus-Kreises.
Nach ihrer Pensionierung erwarb die noch rüstige Rentnerin mit ihrem Mann Martin ein Haus im Oberbergischen Hillerscheid, einem Dorf neben Drabenderhöhe. Sie wollten in der Nähe der Eltern und Geschwister ihren Lebensabend verbringen. Ruhe kannte sie auch hier nicht.
In der Kreisgruppe Drabenderhöhe des Verbandes der Siebenbürgen Sachsen nahm sie aktiv am Geschehen teil. Sie übernahm das Amt als Nachbarmutter für die Siebenbürger Sachsen in Hillerscheid, im Siebenbürgischen Frauenverein hielt sie über 20 Jahre die Festansprachen bei den Advents- und Muttertagsfeiern. Für die HOG Heltau half sie bei der Organisation der Treffen, hielt die Gottesdienste und schrieb Leitartikel und Andachten für die Heltauer Nachrichten. Auch bei den Seiburger Treffen half sie zusammen mit ihrem Mann Martin bei der Planung und Durchführung mit.
1999 gründete das Ehepaar Guist die „Stiftung Siebenbürgische Bibliothek“ und sorgte mit einer großzügigen, privaten Spende für eine dauerhafte Existenz des Siebenbürgen Instituts mit Bibliothek und Archiv. In der Evangelische Kirche Drabenderhöhe hielt Roswita über 300 Gottesdienste mit Amtshandlungen, engagierte sich in verschiedenen Ausschüssen bei der Gestaltung des kirchlichen Lebens, den jährlichen Weltgebetstagsgottesdiensten und sang über 20 Jahre im Kirchenchor mit.
In ihrem neuen Wohnort Hillerscheid war sie wie in ihren früheren Wohnorten vielfältig aktiv tätig. Sie organisierte für die Kinder, die Nachbarinnen und Nachbarn gemeinsame Aktionen und sorgte so für guten Zusammenhalt. Besonders im Heimatverein Hillerscheid, wo sie sechs Jahre lang den Vorsitz innehatte, leitete sie resolut den Ausbau des Vereinshauses und die Neugestaltung des anliegenden Spielplatzes. Zum 50-jährigen Jubiläum des Vereins organisierte sie als Vorsitzende ein Dorffest und erstellte eine Ortschronik.
In der letzten Zeit wurde es ruhiger um die sonst so aktive Frau. Nach und nach verließen sie ihre Kräfte. Es fiel ihr schwer, sich nicht mehr beteiligen zu können. Trotzdem bewältigte sie zusammen mit ihrem Mann und einer Hilfe den Alltag in ihrem schönen Heim. Sie konnte zufrieden zurückblicken! Viel hatte sie mit ihrer Durchsetzungskraft für die Gemeinschaft erreicht und auch vielen Menschen geholfen. Wenn sie etwas für richtig hielt, gab sie nicht auf, bis sie nicht am Ziel war. Nun hat sie ihr Endziel in Gottes Händen erreicht. Möge Roswita Guist in Frieden ruhen!
Der Familie sprechen wir unsere aufrichtige Anteilnahme aus. Unsere Gemeinschaft verneigt sich in Dankbarkeit und Anerkennung vor einem erfolgreich erfüllten Lebenswerk einer unermüdlich engagierten Frau. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren.
Enni Janesch